Woody Guthrie: Haus der Erde
Der legendäre Folksänger Woody Guthrie (1912 – 1967) hat einen Roman hinterlassen, der erst jetzt publiziert wurde. Das habe auch an der unverblümten Sexdarstellung gelegen, die ihrer Zeit weit voraus gewesen sei, vermuten Douglas Brinkley und Johnny Depp im ausführlichen Vorwort. Mehr als ein literarisches Ereignis ist der Roman ein Dokument über Guthrie selbst, seine Weltsicht, seine Gefühle, sein Engagement.
Erzählt wird von Tike und Ella May Hamlin, die in einem baufälligen Holzhaus zur Miete leben und von einem „Haus aus Erde“ träumen, errichtet in der Adobe-Bauweise aus getrockneter Erde. Guthrie erzählt die Geschichte aus der Sicht der armen Leute, die sich in einer korrupten, kapitalistischen Welt durchbeißen müssen: Eine Welt der großen steinernen Zwölfzimmerhäuser und der hölzernen Zehnzimmerhäuser, und eine Welt der Hütten. Von den baufälligen, verrottenden Hütten gibt es mehr als von den hübschen Holzhäusern, und die Hütten schauen auf die größeren Häuser und verfluchen sie, heulen, weinen und fragen nach Fäulnis, Schmutz, Schmerz, Elend, dem Verfall von Land und Familien. Zwischen den kleineren Häusern, den Hütten, und den größeren Häusern gibt es viel Streit. Das gilt für die Stadt, wo die Häuser sich aneinanderlehnen, und für die Farmen und das Weideland, wo der Wind – groß breit und stattlich – sein Wesen treibt und die Häuser weit auseinanderliegen.“
Der Roman ist für seine Zeit – er wurde in den späten 1930er Jahren konzipiert, aber erst 1947 vollendet – ungewöhnlich freizügig. Explizit beschreibt Guthrie den Beischlaf: “ ‚Ich meine, äh, mein Penis. Wie fühlt es sich an, wenn er so richtig tief in deinem Bauch is? Hä?‘ Er stützte sich auf die Hände und betrachtete den Flaum auf ihren Bäuchen, der von den Säften, die aus ihre herausflossen, ganz feucht und verklebt war. ‚Ganz, ganz, ganz tief drinnen. Ganz, ganz, ganz tief drinnen. Willst du, dass ich ihn noch länger drin lasse, Lady? Mann. Ich tu, was du willst. Wenn du magst, kann ich ihn den ganzen Tag drin lassen.‘ “ Und das zu einer Zeit, als Henry Millers Roman „Wendekreis des Krebses“ als pornografisch verboten war.
So realistisch wie die Sexszene beschreibt Guthrie die Geburt des Kindes. „Blanche (die Hebamme – d.Red.) bettete den Kopf des Babys auf Ellas Schenkel, säuberte sein Gesicht und rieb mit der linken Hand Ella Mays Bauch. Als Tike drei oder vier große fleischige Organe, Darmstränge und geplatzte Wasserblasen sah, hatte er das Gefühl, als ob Sonne und Mond von hundert Sonnenstichen durch seine Augen segelten, und als er sah, wie sich durch die äußeren Schamlippen mehr und mehr Gewebe aus Elle Mays Schoß hervorarbeitete, fühlte er sich noch schwächer.“
Das Buch landet beim Filmemacher Irvin Lerner, der sozialkritische Dokumentarfilme gedreht hatte – und verschwand bei ihm in einer Schublade. Es wurde wiederentdeckt, als die Universität von Tulsa, Oklahoma, eine Ausstellung über Guthrie vorbereitete. Zum 100. Geburtstag des Autors wurde er vom Verlag Infinitum Nihil veröffentlicht, den der Schauspieler Johnny Depp mit dem Historiker Douglas Brinkley gegründet hat. „Haus der Erde erzählt davon, wie die einfachen Leute nach Liebe und Sinn in einer korrupten Welt suchen, einer Welt, in der die Reichen den moralischen Kompass verloren haben“, sagt Depp.
Mindestens so spannend wie der – recht kurze – Roman ist das ausführliche Vorwort von Brinkley und Depp, in der sich die Entstehungsgeschichte des Romans und Guthrie Gedankenwelt darstellen. Eine ausführliche Bibliografie, eine Auswahldiskographie und eine ausführliche Zeittafel über das Leben Guthries und seine Zeit ergänzen das interessante Buch, das mindestens in die Bibliothek jedes Folk-Freundes und Guthrie-Fans gehört.
„Haus der Erde“ ist jetzt in deutscher Übersetzung im Eichborn Verlag erschienen (ISBN 978-3-8479-0539-4). Das 302 Seiten dicke, gebundene Buch kostet 16,99 Euro.
Der König von Greenwich Village
Dave Van Ronks Autobiografie beschreibt die Folk-Szene in Greenwich Village, zu der unter anderem Bob Dylan, Joan Baez, Leonard Cohen und Joni Mitchel gehörten. Die Memoiren dienten den Coen-Brothers als Vorlage für ihren Film „Inside Llewyn Davis“. Deshalb ist die Autobiografie nun eilig auf Deutsch herausgegeben worden, so eilig, dass keine Zeit für ein Register war. Schade, denn in dem Buch kommen viele Leute vor, die Musikgeschichte geschrieben haben. In den USA ist das Buch bereits 2005 erschienen.
Dylan klaut Van Ronk Songs
Eigentlich ist es keine Autobiographie. Elijah Wald hat das Buch anhand von Material geschrieben, das Van Ronk zusammengetragen hatte, um „so etwas wie die definitive Geschichte der Greenwich-Village-Folkies“ zu schreiben, so Wald. Van Ronk war eine treibende Karft der Szene gewesen, ohne selbst große musikalische Erfolge zu feiern. Erfolg hatte Dylan. Der hat Van Ronk zwei Songs geklaut. „House of the Rising Sun“ in der Version Van Ronks veröffentlichte Bob Dylan auf seinem ersten Album. Einen Hit machten dann die Animals daraus. Der zweite Song stammt eigentlich von Van Ronks Großmutter. Die war Irin und hatte ihrem Enkel eine sentimentale Ballade über die Trinity Church beigebracht. Dylan habe sich dieses Lied einige Male von ihm vorspielen lassen und es zu „Chimes of Freedom“ umgearbeitet, berichtet Van Ronk und merkt an: „Omas Version war besser.“
Der unbestrittene Herrscher
„Ich habe nie ein Vermögen verdient. Oft war ich hoch verschuldet, aber ich tue was ich tun wollte, seit fast fünfzig Jahren, und ich musste nie etwas anderes machen. Kann ich mehr verlangen. Ich wollte Musiker sein, und ich bin Musiker geworden, und darum geht es doch“, schreibt der Blues-Sänger und bekennende Trotzkist über sich. Dylan bewertet ihn so: „In Greenwich Village war Van Ronk der König der Straße, er war der unbestrittene Herrscher.“
New York versus Cambridge
Das zweite Zentrum des Folk-Revivals in den USA in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren war Cambridge. Dort spielte Eric von Schmidt die Rolle, die Van Ronk in Greenwich Village inne hatte. In Cambridge habe man gewollt, „dass Eric und ich einander hassten“, schreibt Van Ronk. In den Augen der Szene dort sei „Eric der größte weiße Bluessänger weit und breit“ gewesen und er „der Rivale aus New York“. Er habe sich aber vom ersten Augenblick an großartig“ mit von Schmidt verstanden, „und das nicht nur, wenn wir uns einen hinter die Binde gossen“. Mit der Cambridge-Szene konnte Van Ronk allerdings nichts anfangen. „Ich glaube, die Leute in Cambridge hatten generell Komplexe, was New York anging. Wir waren Gomorrha, und sie sahen sich als die Hüter der heiligen Flamme. (…) Als Szene allerdings ging mir Cambridge immer auf die Nerven. Dieses snobistische Klassendenken, der ganze Harvard-Nimbus, selbst wenn es gar nicht direkt mit Harvard zu tun hatten.“ Eric von Schmidt hat der Harvard-Szene mit dem Buch „Baby, Let Me Follow You Down“ ein schönes Denkmal gesetzt.
Vielleicht hatte Van Ronk dieses Buch vor Augen, als er Material über das New Yorker Folkrevival sammelte. Das Buch ist 1979 bei Anchor Books in New York erschienen. Eine deutsche Ausgabe gibt es leider nicht.
Dave Van Ronk mit Elijah Wald: Der König von Greenwich Village, Heyne Hardcore, Taschenbuch, 368 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-453-67638-1.